Mörike liebt – aber wen? Eine Geschichte von Leidenschaft, Poesie und Schwabentum
- Tobias Prasser

- 5. März
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 22. Sept.

Alexander Köhrer erweckt in seinem Roman „Mörike liebt“ die Gefühlswelt des berühmten schwäbischen Dichters Eduard Mörike zum Leben. Die Begegnung mit Maria Meyer, der „Peregrina“ seines Romans „Maler Nolten“, zugleich die Beziehung zu seiner Cousine Clara Neuffer, wird zur Grundlage für einen Coming-of-Age-Roman, der historisch präzise und literarisch packend das Leben eines der größten deutschen Dichter nachzeichnet. Dabei geht es nicht nur um die Zeit des 19. Jahrhunderts, sondern auch um die ewig zeitlosen Fragen von Liebe, Verlust und Selbstfindung.
Was hat Sie dazu inspiriert, das Leben und die Liebe von Eduard Mörike zum Thema Ihres Buches zu machen?
Das liegt am Evangelischen Stift in Tübingen. Da war Mörike. Ich auch. Ich habe das Archiv des Stifts durchwühlt, um alle Dokumente zu finden, die über Mörike direkt oder indirekt Auskunft geben. Bei diesem Wühlen, Finden und Zusammenlegen, wurde das Bild, wie Mörike im Stift gelebt hat, immer klarer: Seine Stube, die Schlafkammer, der stinkreiche Kloakenturm, der Karzer, der Brunnen im Innenhof, der Speiseplan, alle Bedienstete, der Tagesablauf, die Disziplin, die theologischen Veranstaltungen, die Stiftsleitung, die fatalen Predigtübungen, die Location, dementsprechend die Sitzordnung, die Krankenstube, die Todesfälle, darunter ein Selbstmordversuch und allerlei Kuriositäten. Auch wusste ich, wie es riecht und wo welche Diele knarzt. Der Plan war da: Jetzt muss ich nur noch das Leben und damit seine Liebe in diese Kulisse hineinsetzen und warten, bis Mörike beginnt, sich zu bewegen. Und er tat es. Mit allen Freunden und dann mit allen Verwicklungen zu Clara und Maria. Und es hat funktioniert.
Wie viel von Mörikes echten Erfahrungen steckt in Ihrem Roman?
Mörike ist ein Meister des Versteckspiels. Das verstärkt den Reiz, ihn zu suchen. Zugleich geschieht dann das: Wenn man ihm zu nahekommt, beginnt er, wie immer, zu fliehen. Ich sagte ihm: „Du entkommst mir nicht, ich krieg Dich doch.“ „Dann versuch es halt.“ Er bleibt der Sieger, er ist nur schwer zu kriegen. Auch wenn ich ihn Eduard nenne. Auch wenn ich alle seine Briefe und Gedichte kenne. Es geht darum, ihn zu finden und nicht zu erfinden. Ich muss mich als Autor zurückstellen, damit ich ihn aus sich selbst herausholen kann. Im richtigen Moment aber mit ihm ins direkte Gespräch gehen. Der Leser, die Leserin soll selbst entscheiden, wie nahe ich ihm dadurch gekommen bin.
Welche Bedeutung hatte Maria Meyer für Eduard Mörike, und wie haben Sie diese Figur für Ihr Buch interpretiert?
Die Bedeutung von Maria Meyer lässt sich nur dann angemessen beatworten, wenn man die andere Beziehung, nämlich zu Clara Neuffer, seiner Cousine, als zusammengehörig sieht. Es sind zwei Fäden, die ineinandergewirkt Mörikes Urerfahrung von Liebe auslösen: Die Liebe bleibt nicht. Sein Lebensthema. Sie entschwindet sogar in dem Augenblick, da er sie erlebt. Er wird sein Leben lang auf der Suche nach der, wie er es selbst nennt, „alleinzigen Liebe“ sein, obwohl er weiß, dass er sie nie finden wird. Er hat sie ja schon als verschwunden erlebt. Dennoch lebenslange Suche. Das erklärt auch seine innere und äußere Unruhe und damit seine unzähligen Umzüge. 1828 schreibt er: „Ach, sag mir, alleinzige Liebe, Wo du bleibst, daß ich bei dir bliebe! Doch du und die Lüfte, ihr habt kein Haus.“ Das ist die Erfahrung durch Clara und Maria.
Wie haben Sie historische Genauigkeit und Dichtung unter einen Hut gebracht?
Die historische Genauigkeit gibt die wohltuende Ruhe, in die hinein ich die Dichtung legen kann. Sie ist der Raum, in dem sich die Personen bewegen.
Gab es beim Schreiben ihres Romans Entdeckungen?
Viele. Vor allem diese: Seine seherische Fähigkeit. Dinge also vorauszusehen. Im 19. Jahrhundert spricht man hier von somnambul oder somnambül. Die Mörikeforschung hat richtig erkannt, wie sehr Mörike mit und über Justinus Kerner vom Magnetismus und von Geistern begeistert war. Auch nutzte Mörike durch Kerner die Chance, von Friedericke Hauffe, der Seherin von Prevorst, eine Fremdheilung für die Mutter eines Freundes zu erwirken. Was die Mörikeforschung aber bisher nicht sah, dass Mörike selbst voraussehen konnte, wenn auch nur bedingt. In seinem Gedicht „Nächtliche Fahrt“, das immer und in jeder Gedichtausgabe bewusst an dritter Stelle steht, beschreibt er, wie seine Geliebte ihn verlässt, wie er dann eine goldene Kette, die er einst von ihr geschenkt bekam, einem zauberhaften Mädchen weiterreicht, was aber als Betrug entlarvt wird. Das Mädchen lässt ihn nicht los. Er versinkt selig in ihrem Schoß und geht dem Untergang entgegen.
Das heißt, dass er hier sein Schicksal mit Clara und Maria schon vorhersieht?
Ja.
Und wie wird das Schicksal neben der bleibenden Unruhe aussehen?
Genau das beschreibt mein Roman.
Was macht Eduard Mörike als Figur für moderne Leser interessant?
Die moderne Leserin sieht, wie plötzlich Gassen und Häuser lebendig werden. Der moderne Leser sieht, wie Dichtung und Kulisse eins werden. Sie erlebt, wie man beim Lesen in die Recherchen mithineingenommen wird, zugleich staunt, wie Dichtung zur Detektivarbeit wird. Der Leser weiß, das Unheil kommt und fragt gespannt, wie wird es aussehen? Sie erlebt die Frage: Wie ist die Liebe und warum bleibt sie nicht? Jedenfalls bei Mörike. Dabei sieht der moderne Leser, wie Mörike seine Geschichte partiell voraussieht. Ist es nicht manchmal auch bei uns so, dass wir mitten am Tag denken, oh, das hatte ich irgendwie schon als Ahnung oder Traum in mir. Der Roman wird Film. Die Geschichte Gegenwart. Und der Leser und die Leserin mittendrin.


