Poesie und Pfedelbach – Wo liegt das eigentlich?
- Molino Redakteur
- 15. Dez. 2023
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 22. Sept.

Jan Wiechert im Gespräch über seine Lesereise mit dem Vermächtnis des Wirtshausdichters Johann Jacob Lehr, dem Ringelnatz von Hohenlohe
Jan Wiechert, Historiker und Schriftsteller, hat seine Lesereise mit einem einzigartigen Buch abgeschlossen – „Was zwischen Schwanz und Rüssel ist“. Hier gewährt er einen Einblick in die Welt von Johann Jacob Lehr. Uns hat er von seinen eigenen Erfahrungen als Vermittler dieses heiteren literarischen Erbes erzählt.
Ihr Buch über Johann Jacob Lehr und seine Gedichte fängt den Charme vergangener Zeiten ein. Wie kam es dazu, dass Sie dieses besondere Buch herausgegeben haben und welche Resonanz haben Sie von Ihrem Publikum dazu erhalten?
Ich bin schon vor Jahren, bei einer Recherche in historischen Zeitungen, auf eines der Gedichte Lehrs gestoßen, mit dem er auf brachiale, aber auch sehr witzige Weise, für seine Metzelsuppe geworben hat. Später fand ich ein paar weitere Texte und ahnte, dass da mehr dahintersteckt, als nur ein einzelner lyrischer Versuch. Schließlich fand ich heraus, dass Lehr selbst in seinen letzten Lebensjahren eine Auswahl seiner Texte herausgegeben hatte. Damit hatte ich ein Gesamtwerk von rund 100 Gedichten vor mir, aus dem ich die Rosinen rauspicken konnte. Außerdem habe ich Lehrs Biografie recherchiert und dem Buch vorangestellt. Und dann braucht man halt noch einen quartalsirren Verleger, der sagt: „Lyrik aus dem 19. Jahrhundert? Ein vollkommen unbekannter Regionaldichter, der vorzugsweise über tote Schweine geschrieben hat? Geile Idee, da machen wir ein Buch draus.“
Die Resonanzen sind gemischt. Ich habe ja sonst viel über historische Kriminalität geschrieben. Da versteht jeder sofort worum es geht. Bei „Was zwischen Schwanz und Rüssel ist“ ist das nicht immer der Fall. Deswegen sind auch die Lesungen so wichtig. Ich glaube, die meisten, die eine erlebt haben, wissen danach, worum es mir geht und warum Lehrs Werk als Teil der hohenlohischen Literatur nicht in Vergessenheit geraten sollte.
Johann Jacob Lehr war nicht nur ein Wirt, sondern auch ein leidenschaftlicher Dichter. Welche Facetten haben Sie besonders beeindruckt?
Ich glaube, es gibt zwei Aspekte, die mir gefallen. Einerseits ist da natürlich ein ausgeprägter Humor, der von wohlwollender und schlitzohriger Neckerei bis zur bodenlosen Frechheit reicht. Andererseits zeigt Johann Jacob Lehr aber auch modernen Geschäftssinn. Viele seiner Texte erschienen in der Zeitung und sind eigentlich gereimte Reklame für sein Wirtshaus in Pfedelbach. Damit war er der erste Geschäftsmann weit und breit, der es verstand, dass Humor einen Werbeeffekt erzeugt und diese Tatsache zu seinen Gunsten nutzte. In Lehrs Wirtshaus gab es übrigens schon in den 1820er Jahren so etwas wie eine „Ladys Night“ und einen Shuttle Service, mit dem Kunden per Kutsche von Öhringen nach Pfedelbach und zurück kamen. Beides passt zu diesem innovativen Geist.
Als Vortragender kommen Sie an verschiedene Orte. Welche besonderen Begegnungen haben Sie auf Ihrer Lesereise mit dem Pfedelbacher Lehr gemacht? Gibt es ihn nur dort, wo sein Wirtshaus stand oder funktionieren seine Gedichte auch in Hannover?
Bei einer Lesung in Langenburg war eine Zuhörerin dabei, die sich nach der Veranstaltung als Nachfahrin von Johann Jacob Lehr outete. Als Kontrast lernte ich dann in Böblingen einen Mann kennen, dessen Ururururopa in Pfedelbach lebte und von Lehr nach allen Regeln der Kunst durch den Kakao gezogen wurde.
Natürlich ist es einfacher, die Texte in der Region zu vermitteln, weil die Leute die Ortsnamen und die örtlichen Verhältnisse kennen. Ich werde zum Beispiel regelmäßig gefragt, wo Lehrs Gasthaus denn genau stand. Aber das Werk ist im Grunde universell verständlich und bedarf höchstens einer näheren Einführung. Glücklicherweise hat Lehr, im Gegensatz zu den meisten anderen Volksdichtern der Region, nicht in Mundart geschrieben. Wie es im Speziellen mit Hannover aussieht, sage ich Euch, sobald mich eine Einladung dorthin ereilt hat.
Die Lyrik von Johann Jacob Lehr ist nicht nur historisch interessant, sondern auch humorvoll. Versteht man seinen Humor noch?
In aller Regel: ja. In meinem Buch musste ich einzelnen Gedichten ein paar einführende Worte voranstellen. Außerdem habe ich die Begriffe, die heute nicht mehr gebräuchlich sind, in einem Glossar erklärt. Allerdings gibt es tatsächlich einige Texte Lehrs, die schwer zu erschließen sind. Darin geht es meist um einzelne Personen der Öhringer oder Pfedelbacher Gesellschaft, denen dieses oder jenes Missgeschick unterlaufen war. Vermutlich haben sich die Zeitgenossen über diese Spottgedichte schlappgelacht, weil sie die karikierten Akteure, ihre menschlichen Schwächen und die Hintergründe kannten. Für uns heutige Leser, denen dieses Insiderwissen fehlt, bleiben viele Fragezeichen. Diese Texte haben es dann auch nicht in mein Buch geschafft, weil es vor allem als heiteres Lesebuch funktionieren soll.
Sie haben knapp ein Dutzend Lesungen mit Ihrem neuen Buch hinter sich. Haben Sie eigentlich irgendwelche Rituale, die ihnen das Lampenfieber nehmen? 2 Schnaps zum Beispiel?
Ich stehe eigentlich gerne auf der Bühne, aber das Lampenfieber ist immer mit dabei, wenngleich es nach Tagesform und Auftrittsort variiert. Mit Schnaps habe ich keine Erfahrungen. Bier und andere kohlensäurehaltigen Getränke sind eher nicht zu empfehlen, weil gepflegtes Publikum das Bäuerchen in Minute 12 nicht zwingen zu würdigen weiß. Im Grunde hat es sich bewährt, hibbelig durch die Gegend zu laufen, die Hände zu kneten und all jenen Anwesenden, die man persönlich kennt, mit unnötigen Fragen und Gesprächen lästig zu fallen.
Foto © Dinah Rottschäfer


