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„Ja, ich bin ihnen allen persönlich begegnet“ Eine Diskussion über 70 Jahre deutsche Zuwanderergeschichte

Aktualisiert: 22. Sept.


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Von Christa Hagmeyer, Liederbach am Taunus


Am 12. Juni 2024 war ich zu Gast in der Klasse 11 F 9 der Ludwig-Erhard-Schule in Frankfurt-Unterliederbach, denn der Schriftstellerverband Hessen hatte zu Schullesungen angeregt. Ich traf überwiegend junge Menschen mit Migrationshintergrund an, die auf dem Weg zum Fachabitur sind. Gegenstand von Lesung und Diskussion sollte mein im Jahr 2022 im Molino Verlag erschienenes Buch sein: „Ich kenne Deutschland bald besser als die Deutschen“- 70 Jahre deutsche Zuwanderergeschichte, erzählt in 26 Kurzgeschichten.

Vor unserer gemeinsamen Doppelstunde hatten die Schüler und Schülerinnen im Unterricht bereits 5 Geschichten aus meinem Buch in Gruppenarbeit vorbereitet. Entsprechen nun meine Recherchen ihren Erfahrungen und Empfindungen? Diesen jungen Menschen wollte ich zunächst mittels eines Brainstormings unter dem Motto „Fremde Heimat“ die Möglichkeit zu eigenem Ausdruck geben; dies stellte ich unkommentiert meiner Lesung und unserer Diskussion voran.


Und dies notierten die fast erwachsenen Schüler/innen zu „Fremde Heimat“: Der Ort, an dem meine Eltern aufgewachsen sind, Pakistan. Andere bezeichnen das als meine Heimat, obwohl ich noch nie dort war – ein Ort, wo man nochmal alles von neuem beginnt – wo man aufgewachsen ist, aber sich nicht wohlfühlt – man weiß nicht, was auf einen zukommt – fremde Heimat ist eine Heimat, mit der man nicht assoziiert werden will – ein Land, in dem ich geboren wurde, wo ich aber nicht dazugehöre – neue Kultur, eine Heimat mit ungekannten Normen und Werten usw.


Dass „Heimat“ vielschichtig empfunden wird, teils als Identität, teils als Beschränkung, wenn es um Tradition, Bräuche, Werte, Benehmen geht, dass Vorurteile hinterfragt werden sollten, entnahmen die Schüler/innen auch meinen Geschichten. Dann aber interessierte auch mein Werdegang als Autorin und wie es kam, dass ich diese Geschichten über 30 Jahre gesammelt hatte, ob die Protagonisten tatsächlich existierten oder ob ich fiktiv geschrieben habe.


Ja, ich bin ihnen allen persönlich begegnet, teils kurz, teils hatte ich über Jahre Anteil an ihrem Weg. Ich habe ihnen meine Sprache geliehen; ich habe äußerst wenig wörtlich zitiert. Warum? Zuwanderer stehen am Anfang ihres Spracherwerbs oder stammen aus einfachen Verhältnissen – ich werde nicht dazu beitragen, dass eine beschränkte Ausdrucksmöglichkeit von Gefühlen und persönlicher Tragik ablenkt und die Protagonisten der Lächerlichkeit aussetzt. Mit dem Entschluss, dieses Zeitgemälde als Buch zu veröffentlichen, möchte ich meinen Beitrag leisten, dass wir uns untereinander mit Achtung begegnen. Achtung setzt Kenntnis voraus, das ist mehr als Toleranz.


Ich habe verschiedene Stilmittel verwendet: Außenperspektive, Ichform, Briefform, um den Empfindungen einen adäquaten Ausdruck zu verleihen. Die Namen habe ich verändert; soweit noch möglich, ließ ich meine Gesprächspartner ihr literarisches Ich wählen und den jeweiligen Entwurf lesen. Dabei erlebte ich große Dankbarkeit und Ergriffenheit, dass nun bezeugt ist, was nach wie vor so viel Kraft kostet.


Aber 30 Jahre für ein einziges Buch? Was ich denn sonst noch getan hätte. Ja, nun habe ich eine Reihe von Büchern geschrieben, hauptsächlich Lyrik, Kurzprosa, Theaterstücke, auch ein Libretto, historische Arbeiten, Kindergeschichten. Über zwanzig Jahre habe ich als freie Kulturjournalistin gearbeitet. So freue ich mich sehr, dass ich die Chance hatte, meine Weltsicht und das Suchen nach meinem Weg in dieser meiner Zeit in Worte zu fassen. Ich bin sehr dankbar, dass sich in meinem Leben so Vieles überraschend entwickelt hat, dass eines zum andern kam und ich aus unzähligen Begegnungen Bereicherung erfuhr.


Foto: Höchster Kreisblatt



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