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Die schönste Realsatire im Herbst, jedenfalls aus Schwaben

Aktualisiert: 22. Sept.


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Ein satirisches Kaleidoskop der Postenjäger


Von Reiner Ruf, Stuttgarter Zeitung, 09. Oktober 2024 


Die langjährige Journalistin Gabriele Renz hat ein Buch über grün gefärbten Karrierismus geschrieben. Ort der Handlung: das Parlament.


Stuttgart. Der Vergleich liegt nahe: Vor fast 30 Jahren veröffentlichte Manfred Zach einen Schlüsselroman über das intrigenreiche Polittheater in der Ära des Ministerpräsidenten Lothar Späth (beide CDU). „Monrepos oder die Kälte der Macht“ lautete der Titel des damals viel beachteten Werks aus der Feder des früheren Spitzenbeamten, der Späth die Reden und die Bücher geschrieben hatte – und ihm auch als Regierungssprecher treu diente. Nun legt die frühere Landtagssprecherin Gabriele Renz eine satirische Erzählung aus dem Stuttgarter Parlamentsbetrieb vor. „Der Beamte Wieler“ lautet der Titel des 300 Seiten starken Buchs aus dem Sindelfinger Molino Verlag, das in diesen Tagen erscheint.


Während Zach die große Oper bot, verlegt sich Renz aufs Kammerspiel. Das Bühnenbild, das recht unverstellt den Landtag zeigt, ist weniger opulent ausgemalt, dafür werden die Darsteller kontrastreich in Szene gesetzt: die einen mit giftiger Tinte, andere mit Empathie. Zwischen den Zeilen schimmert selbst Erfahrenes, vielleicht auch selbst Erlittenes durch. Bei der Lektüre kommt dem Leser unwillkürlich der römische Dichter Juvenal in den Sinn: „Difficile est, satiram non scribere.“ – Schwierig ist es, keine Satire zu schreiben. So muss die langjährige (landes-)politische Journalistin ihren Ausflug ins Parlament wohl empfunden haben.


Geht es so im Landtag zu? Nein – oder vielleicht doch. Das Buch ist kein Schlüssellochroman im engeren Sinn. Doch als Quelle der Inspiration darf die aktuelle Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) schon angesprochen werden. Dazu kommt ihr zeitweiliger Trabant, der sie umkreiste wie der Mond die Mutter Erde – der titelgebende Antiheld. Ministerpräsident Winfried Kretschmann darf als „der große Vorsitzende“ Pflanzen bestimmen und Blumen streicheln, bleibt aber außerhalb einer kritischen Betrachtung, die er eigentlich verdiente. Weitere Akteure auf der literarischen Bühne, etwa die ironisch als „Viertelleiter“, „Halbleiter“ oder „Oberleiter“ benannten Beamten, weisen Züge realer Personen auf. Doch die Bezugnahmen auf die Wirklichkeit sind eher impressionistischer Natur und lösen sich zum Ende hin auf. In der Literatur ist ein solches Verfahren nicht unüblich.„der große Vorsitzende“ Pflanzen bestimmen und Blumen streicheln, bleibt aber außerhalb einer kritischen Betrachtung, die er eigentlich verdiente. Weitere Akteure auf der literarischen Bühne, etwa die ironisch als „Viertelleiter“, „Halbleiter“ oder „Oberleiter“ benannten Beamten, weisen Züge realer Personen auf. Doch die Bezugnahmen auf die Wirklichkeit sind eher impressionistischer Natur und lösen sich zum Ende hin auf. In der Literatur ist ein solches Verfahren nicht unüblich.„der große Vorsitzende“ Pflanzen bestimmen und Blumen streicheln, bleibt aber außerhalb einer kritischen Betrachtung, die er eigentlich verdiente. Weitere Akteure auf der literarischen Bühne, etwa die ironisch als „Viertelleiter“, „Halbleiter“ oder „Oberleiter“ benannten Beamten, weisen Züge realer Personen auf. Doch die Bezugnahmen auf die Wirklichkeit sind eher impressionistischer Natur und lösen sich zum Ende hin auf. In der Literatur ist ein solches Verfahren nicht unüblich.

Die Stärke des Buches ist der sprachlich ausgefeilte, gleichwohl vernichtende Sarkasmus, mit dem das politisch-bürokratische Mischmilieu beschrieben wird. Die Autorin bietet ein Kaleidoskop des Postenjägertums, das in der hohen Staatsbürokratie angesiedelt ist. Während die Vertreter des „Ancien Regime“ (der Staatspartei CDU) auf bessere Zeiten hoffen, lockt die neue Siegerstraßenpartei“ (die Grünen) karrierebewusste Opportunisten an. Solche Leute wie Wieler – eigentlich aber dessen aufstiegsbrünstige Ehefrau, die ihren eher antriebsschwachen Gatten auf der Besoldungsleiter nach oben zu treiben gewillt ist. Sie strebt nach sozialer Distinktion; sie sollte nur nicht zu vulgär in Szene gesetzt werden.


Macht zieht Mitläufer an. Das verhält sich nicht nur in Politik und Bürokratie so, das unterscheidet sich in Unternehmen nur graduell. Schleicher und Schleimer finden sich allerorten. Karrieristen haben sich inzwischen auch bei den Grünen, der neuerdings nicht mehr ganz so sieghaften „Siegerstraßenpartei“ eingefunden. Indes: In der Bürokratie orientieren sich die ersten bereits um. Das „Ancien Régime hatte den Vorteil geboten, Ehrgeiz nicht mit politischen Inhalten oder gar Idealen verbrämen zu müssen. Damals galt Macht als solche schon für ausreichend. Politische Inhalte würden sich dann schon finden. Weshalb nicht auch künftig wieder? Die innerparteiliche Spannung zwischen den alten Öko-Kämpfern für eine bessere Welt und blasierten Repräsentanten eines grünen Establishments findet in diesem satirischen Lehrstück abseits aller Fiktion einen gültigen Niederschlag.



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