Die Tagebücher des Schwäbisch Haller Pfarrers und Widerständlers Karl Adolf Gross
- Molino Redakteur
- 8. Nov. 2021
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 22. Sept.

„Undurchdringliche Nacht“
Von Ralf Snurawa, Haller Tagblatt, 06. November 2021
Lesung: Fast sechs Jahre verbrachte der aus Hall stammende Karl Adolf Groß im KZ. Auszüge aus seinen Tagebüchern sind am 9. November im Globe zuhören.
„Dachau! Der Name schon machte, dass wir eine Gänsehaut bekamen. Er war ein Programm. Dieses Lager war berüchtigt und galt als das schlimmste von allen und die Gestreiften erzählten sich böse Dinge von den Quälereien, denen dort die Häftlinge ausgesetzt waren“, schrieb Karl Adolf Groß in seinen den Tagebüchern aus dieser Zeit vorgeschalteten Berichten.
Der in Schwäbisch Hall als Sohn eines Konditors und Gastwirts geborene Groß, der wegen seiner Homosexualität Anfang der 1920er-Jahre nicht mehr als Pfarrer wirken durfte, ging nach Berlin, um dort als Verleger vor allem Werke von Autoren der Be-kennenden Kirche zu publizieren. Dazu gehörte auch Pfarrer Martin Niemöller. Groß hatte eine halbe Million Karten mit Sprüchen von ihm drucken und verteilen lassen.
70 Monate verschwunden
„Das Kreuz steht da, weil es Gott dahingestellt hat“, heißt es auf einer von ihnen, „in die Mitte zwischen ihn und uns, dies eine Kreuz und kein anderes, das wir uns auswählen könnten (10.4.36).“ Sie waren der Grund für Groß’ Verhaftung am 20. August 1939, worüber er berichtet: „Der Tag wird mir immer unvergesslich bleiben, denn er hob sich durch ziemlich merkwürdige Umstände von meinem übrigen Leben ab; er schloss eine Tür zu und öffnete eine andere, in welcher ich für 70 Monate verschwinden sollte. Aus dieser andern starrte mir nichts entgegen als das Dunkel der Nacht, einer undurchdringlichen Nacht.“
Groß hatte 1946 seine Tagebücher unter dem Titel „Zweitausend Tage Dachau. Erlebnisse eines Christenmenschen unter Herrenmenschen und Herdenmenschen“ noch selbst beim von ihm gegründeten Neubau-Verlag in München verlegt.1955 ist er an den Spätfolgen seiner KZ-Gefangenschaft gestorben.
Dr. Matthias Slunitschek vom Haller Molino-Verlag wurde vom Kirchheimer Verleger Jürgen Schweier auf Groß aufmerksam gemacht. Schweier hatte Groß’ Tagebücher in die Hände bekommen und außerdem zu Martin Niemöllers Sohn Heinz Hermann Kontakt. Der schickte ihm die Postkarten, deretwegen Groß von der Gestapo verhaftet und zu-nächst in das KZ Sachsenhausen und dann nach Dachau deportiert worden war.
Beindruckende Postkarten
Schweier hatte Slunitschek vor allem deshalb davon erzählt, weil Groß aus Hall stammte. Dann hatte er ihm noch die Karten und die Bücher zukommen lassen, die Slunitschek besonders beeindruckten. Er beschloss anlässlich von75 Jahren Befreiung der KZ-Häftlinge Groß’ Buch im Jahr 2020 neu zu verlegen.
Er konnte den an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Tübinger Universität tätigen Privatdozenten Dr. Wolfgang Schöllkopf als Herausgeber gewinnen. Zusammen mit ihm waren so aus ehemals drei Bänden über das Leben im KZ Dachau einer geworden.
Dazu gehörten 130 Seiten mit Berichten, die Groß aus dem Gedächtnis geschrieben hatte, weil die damaligen Tagebucheinträge vernichtet worden waren. Danach folgt eine 80-seitige Auswahl aus den Tagebüchern. Schöllkopf hatte in einem Nachwort ein Porträt von Groß verfasst.
Der Chefdramaturg der Freilichtspiele Hall, Franz Burkhard, war von einem literarischen Text über diese Zeit begeistert. Und so sollte schon im April vergangenen Jahres eine Lesung im Neuen Globe stattfinden, die allerdings aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt werden musste. Am Dienstag,9.November, soll sie nun um18Uhr nachgeholt werden. Zusammen mit der Schauspielerin Martina Reichert wird Burkhard Auszüge aus Groß’ Berichten und Tagebucheinträgen lesen. Der literarische Querschnitt werde sich an den chronologischen Abfolgen orientieren, erläutert Burkhard: „Er wird sich aber nicht nur mit dem Aufenthalt im KZ Dachau befassen, sondern auch mit dem Gang ins KZ.“
Fasziniert hat Burkhard Groß’ sprachliche Stilistik: „Er hat das Stilmittel der Ironie und Übertreibung verwendet, um herauszustellen, wie perfide das Ganze war. So hat er einmal Fußtritte, die ihm verabreicht wurden, als ‚gute Taten‘ bezeichnet.“
Burkhard denkt auch, dass Groß als Beteiligter die Hilfe der Ironie gebrauchte, um die Rolle des Beobachters einnehmen zu können. Außerdem verschone er die Leserinnen und Leser von der Drastik mancher Situation.
Zur Lesung am 9. November wird Dr. Wolfgang Schöllkopf noch einen Überblick über Groß’ Leben geben und Katrin Hammerstein, die Leiterinder Gedenkstättenarbeit bei der Landeszentrale für politische Bildung (LpB), den Autorwürdigen. Die LpB ist neben den Freilichtspielen Schwäbisch Hall, dem Molino-Verlag und der KZ-Gedenkstätte Schwäbisch Hall-Hessental Mitveranstalterin.


